Die Mystik
des Warum-Schildes - Von Philipp Heine
Während es in
Zeichentrickfilmen, Büchern oder Hörspielen für Kinder zunehmend anrüchig wird,
Gewalt darzustellen, scheinen die Nachrichtenmedien den genau gegenteiligen Weg
zu beschreiten. Ein Geschehen wird erst zur Nachricht, wenn es erstens
unvorstellbar grausamer Art ist und zweitens im bewegten Bild festgehalten
wurde. Andere Mitteilungen haben nur dann eine Chance auf Schlagzeile, wenn
irgendwie ein Zusammenhang zum Klimawandel konstruierbar ist.
So kommt es
also, dass ich meine Arbeitstage gern bei der behaglichen Kombination von
Snacks und Kindergartenmassakern ausklingen und Hektoliter von Blut an meiner
Couch vorbeiplätschern lasse. Dabei hat es ein besonderer Gegenstand aufgrund
seines wiederholten Erscheinens geschafft, bis in meine bewusste Wahrnehmung
vorzudringen: Das Warum-Schild. Kurioser Weise stehen zahllose Reporter, die
vom Schauplatz schrecklicher Unfälle, Morde, Selbstmorde oder Amokläufe
berichten direkt vor oder neben einem anscheinend obligatorischen Arrangement
aus Blumen, Kerzen, Teddybären und Schildern mit der Aufschrift „Warum?“. Nicht
ganz zufällig frage ich mich „warum?“.
Wo kommen
diese Schilder her? An wen wenden sie sich? Welche Vorstellungen von der Welt
liegen der Schilderproduktion zu Grunde? Diesen Fragen möchte ich mich nun
zuwenden.
Wenn es darum
geht, die Urheber der Schilder zu finden, kommen verschiedene Verdächtige in
Frage: Zunächst denkt man an die nahen Angehörigen derer Personen, die zu
Schaden gekommen sind. Aber ist es denkbar, dass die erste Reaktion auf den vor
wenigen Minuten eingetretenen Tod eines geliebten Menschen der Drang sein kann,
Kerzen und Teddies zu besorgen und ein Warum-Schild anzufertigen? Ich zweifele
daran.
Die Nächsten in der Reihe der Verdächtigen sind die Reporter. Wäre es möglich, dass in jedem Ü-Wagen eine geheime Kiste mit Grablichtern und Schildern steht, die den Verkehrswert einer emotionalen Reportage in die Höhe treiben soll? Ein Gedanke, den ich nicht wirklich zu den Akten legen kann.
Weiterhin kommen auch Schulklassen in Frage, die von den Emotionen altruistischer Lehrerinnen zur massenhaften Schildermalerei gepeitscht werden. Bei der kurzen Zeit, die oft zwischen dem Unglücksfall und dem ersten Erscheinen von Warum-Schildern vergeht, sollte man überprüfen, ob deutsche Religionslehrerinnen den Polizeifunk abhören, wenn diese Theorie zutreffen sollte.
Schließlich muss auch an die Vertreter der freien Wirtschaft gedacht werden, die ein neues Marktsegment erschlossen haben könnten. Gibt es einen Fachhandel für Tatortdekoration? Für mich bleiben die Pressevertreter die Hauptverdächtigen.
Die Nächsten in der Reihe der Verdächtigen sind die Reporter. Wäre es möglich, dass in jedem Ü-Wagen eine geheime Kiste mit Grablichtern und Schildern steht, die den Verkehrswert einer emotionalen Reportage in die Höhe treiben soll? Ein Gedanke, den ich nicht wirklich zu den Akten legen kann.
Weiterhin kommen auch Schulklassen in Frage, die von den Emotionen altruistischer Lehrerinnen zur massenhaften Schildermalerei gepeitscht werden. Bei der kurzen Zeit, die oft zwischen dem Unglücksfall und dem ersten Erscheinen von Warum-Schildern vergeht, sollte man überprüfen, ob deutsche Religionslehrerinnen den Polizeifunk abhören, wenn diese Theorie zutreffen sollte.
Schließlich muss auch an die Vertreter der freien Wirtschaft gedacht werden, die ein neues Marktsegment erschlossen haben könnten. Gibt es einen Fachhandel für Tatortdekoration? Für mich bleiben die Pressevertreter die Hauptverdächtigen.
Wende ich
mich der Frage nach dem Adressaten der Schilder zu, komme ich sehr schnell zu
der Feststellung, dass es sich um ein rhetorisches Warum handeln muss. Auf der
Grundlage von langjähriger Erfahrung kann ich sagen, dass weder von dem
verstorbenen Opfer, dem flüchtigen oder
verhafteten Täter, Jesus, Gott oder einem vollbärtigen Medienpsychologen eine
vernünftige und explizite Antwort zu erwarten ist.
Ich bin auch
überzeugt, dass der Autor des Schildes kaum eine wahrhaftige Beantwortung
seiner Frage wünschen kann. Wer möchte schon im Moment der Trauer Sätze hören
wie „Weil er ein schlechter Autofahrer war.“, oder „Weil sie komplett mit
Drogen zugedröhnt war.“, oder „Weil ich ein schlechter Schütze bin und er neben
dem Arschloch stand, das ich gemeint habe.“?
Das Warum ist
also keine echte Frage, sondern ein Statement, das entweder Solidarität mit den
Betroffenen oder Solidarität mit den Einschaltquoten ausdrücken soll.
Trotzdem
finde ich die Grundhaltung, die die Anfertigung eines Warum-Schildes bedingt,
interessant.
Das empörte
Einfordern einer Begründung für Tod und Leid setzt voraus, dass von einer
Harmonie und Gerechtigkeit in der Welt ausgegangen wird, die als versprochene
Norm angesehen wird. Ich frage mich, welche beobachteten Tatsachen zu einer
solchen Einstellung geführt haben könnten. Sollte der Adressat des Schildes
Gott sein, dann handelt es sich bei dem Schildbürger um einen Mystiker, der in
ein Zwiegespräch mit dem Schöpfer eingetreten ist, um dessen augenscheinliche
Willkür mit einem Bann zu belegen. Allerdings ist es in Deutschland
wahrscheinlicher, dass sich das Schild an die staatliche Obrigkeit richtet, die
in ihrer Allmacht und ihrem göttlichen Ratschluss verantwortlich für jegliches
Leid in der großen Herde hilfloser Bürger ist.
Komischerweise
stehen jedoch keine Warum-Schilder vor dem BER oder der Elbphilharmonie.
Wahrscheinlich, weil ihr Tod sich zu langsam und kleinschrittig vollzieht und
das Klima nicht direkt betroffen ist.
Ich wünsche
Ihnen, dass Sie in den nächsten Jahren nur medialen Warum-Schildern ausgesetzt
werden!
Philipp Heine
Gibt es im Stern eigentlich noch die Cartoonserie mit dem Pümpel, der Säge, dem Spiegelei und dem Toilettenspülkastenzieher? Dort stand an der Wand immer ein 'Barum?' Kann es sein, dass wir Teil eines galaktischen Cartoons sind? Sind Stofftiere, Kerzen und Blumen vielleicht nur die Pümpel der Außerirdischen?
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