Stets kritisch

Stets kritisch

Donnerstag, 23. Januar 2014

Die Mystik des Warum-Schildes



Die Mystik des Warum-Schildes - Von Philipp Heine


Während es in Zeichentrickfilmen, Büchern oder Hörspielen für Kinder zunehmend anrüchig wird, Gewalt darzustellen, scheinen die Nachrichtenmedien den genau gegenteiligen Weg zu beschreiten. Ein Geschehen wird erst zur Nachricht, wenn es erstens unvorstellbar grausamer Art ist und zweitens im bewegten Bild festgehalten wurde. Andere Mitteilungen haben nur dann eine Chance auf Schlagzeile, wenn irgendwie ein Zusammenhang zum Klimawandel konstruierbar ist.
 
So kommt es also, dass ich meine Arbeitstage gern bei der behaglichen Kombination von Snacks und Kindergartenmassakern ausklingen und Hektoliter von Blut an meiner Couch vorbeiplätschern lasse. Dabei hat es ein besonderer Gegenstand aufgrund seines wiederholten Erscheinens geschafft, bis in meine bewusste Wahrnehmung vorzudringen: Das Warum-Schild. Kurioser Weise stehen zahllose Reporter, die vom Schauplatz schrecklicher Unfälle, Morde, Selbstmorde oder Amokläufe berichten direkt vor oder neben einem anscheinend obligatorischen Arrangement aus Blumen, Kerzen, Teddybären und Schildern mit der Aufschrift „Warum?“. Nicht ganz zufällig frage ich mich „warum?“.
 
Wo kommen diese Schilder her? An wen wenden sie sich? Welche Vorstellungen von der Welt liegen der Schilderproduktion zu Grunde? Diesen Fragen möchte ich mich nun zuwenden.
 
Wenn es darum geht, die Urheber der Schilder zu finden, kommen verschiedene Verdächtige in Frage: Zunächst denkt man an die nahen Angehörigen derer Personen, die zu Schaden gekommen sind. Aber ist es denkbar, dass die erste Reaktion auf den vor wenigen Minuten eingetretenen Tod eines geliebten Menschen der Drang sein kann, Kerzen und Teddies zu besorgen und ein Warum-Schild anzufertigen? Ich zweifele daran. 

Die Nächsten in der Reihe der Verdächtigen sind die Reporter. Wäre es möglich, dass in jedem Ü-Wagen eine geheime Kiste mit Grablichtern und Schildern steht, die den Verkehrswert einer emotionalen Reportage in die Höhe treiben soll? Ein Gedanke, den ich nicht wirklich zu den Akten legen kann. 

Weiterhin kommen auch Schulklassen in Frage, die von den Emotionen altruistischer Lehrerinnen zur massenhaften Schildermalerei gepeitscht werden. Bei der kurzen Zeit, die oft zwischen dem Unglücksfall und dem ersten Erscheinen von Warum-Schildern vergeht, sollte man überprüfen, ob deutsche Religionslehrerinnen den Polizeifunk abhören, wenn diese Theorie zutreffen sollte. 

Schließlich muss auch an die Vertreter der freien Wirtschaft gedacht werden, die ein neues Marktsegment erschlossen haben könnten. Gibt es einen Fachhandel für Tatortdekoration? Für mich bleiben die Pressevertreter die Hauptverdächtigen.
 
Wende ich mich der Frage nach dem Adressaten der Schilder zu, komme ich sehr schnell zu der Feststellung, dass es sich um ein rhetorisches Warum handeln muss. Auf der Grundlage von langjähriger Erfahrung kann ich sagen, dass weder von dem verstorbenen  Opfer, dem flüchtigen oder verhafteten Täter, Jesus, Gott oder einem vollbärtigen Medienpsychologen eine vernünftige und explizite Antwort zu erwarten ist. 
 
Ich bin auch überzeugt, dass der Autor des Schildes kaum eine wahrhaftige Beantwortung seiner Frage wünschen kann. Wer möchte schon im Moment der Trauer Sätze hören wie „Weil er ein schlechter Autofahrer war.“, oder „Weil sie komplett mit Drogen zugedröhnt war.“, oder „Weil ich ein schlechter Schütze bin und er neben dem Arschloch stand, das ich gemeint habe.“?
 
Das Warum ist also keine echte Frage, sondern ein Statement, das entweder Solidarität mit den Betroffenen oder Solidarität mit den Einschaltquoten ausdrücken soll.
Trotzdem finde ich die Grundhaltung, die die Anfertigung eines Warum-Schildes bedingt, interessant.
Das empörte Einfordern einer Begründung für Tod und Leid setzt voraus, dass von einer Harmonie und Gerechtigkeit in der Welt ausgegangen wird, die als versprochene Norm angesehen wird. Ich frage mich, welche beobachteten Tatsachen zu einer solchen Einstellung geführt haben könnten. Sollte der Adressat des Schildes Gott sein, dann handelt es sich bei dem Schildbürger um einen Mystiker, der in ein Zwiegespräch mit dem Schöpfer eingetreten ist, um dessen augenscheinliche Willkür mit einem Bann zu belegen. Allerdings ist es in Deutschland wahrscheinlicher, dass sich das Schild an die staatliche Obrigkeit richtet, die in ihrer Allmacht und ihrem göttlichen Ratschluss verantwortlich für jegliches Leid in der großen Herde hilfloser Bürger ist.
Komischerweise stehen jedoch keine Warum-Schilder vor dem BER oder der Elbphilharmonie. Wahrscheinlich, weil ihr Tod sich zu langsam und kleinschrittig vollzieht und das Klima nicht direkt betroffen ist.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie in den nächsten Jahren nur medialen Warum-Schildern ausgesetzt werden!


Philipp Heine

1 Kommentar:

  1. Gibt es im Stern eigentlich noch die Cartoonserie mit dem Pümpel, der Säge, dem Spiegelei und dem Toilettenspülkastenzieher? Dort stand an der Wand immer ein 'Barum?' Kann es sein, dass wir Teil eines galaktischen Cartoons sind? Sind Stofftiere, Kerzen und Blumen vielleicht nur die Pümpel der Außerirdischen?

    AntwortenLöschen