Deutschlounge – Ein Wintermärchen - Von Philipp Heine
Einst, als ich noch kindlicheren Gemüts war und die Welt
groß und bunt, nur getrübt von Schlaghosen, weiblichen Achselhaaren und
unrasierten Männern mit beängstigenden Frisuren, da sah es in deutschen
Wohnungen und Gaststätten noch anders aus. Deutlich stachen die Anzeichen ins
Auge, die die Anwesenheit eines mächtigen Alphamännchens und Jägers markierten:
Keine verzärtelte Kiefer, sondern teutonische Eiche gab den Ton an.
Gelegentliche Geweihe und röhrende Hirsche an den Wänden warnten vor geübter
Überlegenheit im täglichen Überlebenskampf. Zinnteller mit alten Stadtansichten
machten unmissverständlich klar, dass das mittelalterliche Feudalsystem hier
noch gelebt wurde. Die Gaststube, die nichts anderes war, als das erweiterte
Wohnzimmer der kampferprobten Recken, zeigte sich in gleichem Kleide.
Auch wenn die Welt schleichend von einer neuen Generation
unterwandert wurde, die IKEA-Möbel kaufte und zu weich war, die Macht vom Vater
zu übernehmen, gab es Rituale, die die sich gegenseitig mehr und mehr
misstrauenden Generationen an einen gemeinsamen (Eichen-) Tisch führten:
Rauchen, Saufen und Schwadronieren. Drei Grundpfeiler der deutschen Kultur, die
den Zusammenhalt der Volksgemeinschaft garantierten. (Das Schießen fiel
alliierter Übermacht zum Opfer.) Entsprechend konnte man diesen Tätigkeiten
überall nachgehen. Selbst im Fernsehen oder im Kino gehörten Bier und Zigarette
zum guten Ton.
Das Bild der deutschen Lebenswelt hat sich seither gewandelt.
Jene alten Vertriebenen, die über das zugefrorene Haff den roten Horden
entkamen, sind weggestorben. Heute bin ich ein Vertriebener, allerdings mit
Schuhen und Mantel. Täglich stehe ich draußen, in Wind, Regen und Schnee, und
blicke –verträumt frierend und an meiner Zigarette ziehend – zurück in den
warmen Schankraum oder das Wohnzimmer, in denen Rauchverbot herrscht. Der
meditative Charakter, den dieses kurze Exil hat, verschaffte mir neulich einen
wunderbaren Moment der Klarheit. Ich erkannte, wohin sich Raumgestaltung und Gesellschaft
in Deutschland wandeln: Zu einer Lounge.
Vor Tine Wittler kannten nur all jene Deutschen diesen
Begriff, die regelmäßig auf Geschäftsreisen waren. Heute entspricht „Lounge“
dem, was vormals Renaissance oder Gotik hieß. Es handelt sich um eine Stilform,
die gestalterisch das Wesen der Gesellschaft spiegelt.
Auf den ersten Blick besteht die Lounge aus einem Raum, der
mit stiltypischen Farben, Materialien, Einrichtungsgegenständen und
Dekorationen ausgestattet ist. Zu diesen zählen warme, oft erdfarbene oder rote
Wandfarben, Möbel und Bodenbeläge aus dunklem Tropenholz, wenige pointierte
Dekorationselemente, die gern in goldener Farbe gehalten sind und Worte oder
kurze Sinnsprüche, die als dezenter Kontrast auf die Tapete aufgebracht sind.
Zusammengefasst ist eine Lounge die wärmste Form von
Sterilität, die mir bislang begegnet ist. Edles Material trifft auf aufgeräumte
Ordnung und unaufdringliche Verzierungen, die den Blick für einen kurzen Moment
erfreuen. Nichts stört oder provoziert eine Reaktion, die die Raumgestaltung in
den Fokus der Wahrnehmung rücken würde. Alles ist nett, aber neutral.
Wie kommt es, dass ein solcher Stil, der augenscheinlich
bestens für Flughäfen oder Hotels geeignet ist, Einzug in deutsche Wohnungen
und Gaststätten, die Tempel der deutschen Seele, gehalten hat?
Seine Gäste in einer Lounge empfangen zu können, vermittelt den
Hausherren und Hausdamen ein Gefühl der Teilhabe. Nämlich der Teilhabe an einem
besonderen gesellschaftlichen Status. Man möchte als jemand wahrgenommen
werden, der vermögend, weltgewandt, geistreich und der „executive
business-class“ zugehörig ist. Vermutlich trifft das in der Realität nur auf
einen Bruchteil der Lounge-Inhaber zu. Auch in der Kaiserzeit richteten sich
die Kleinbürger derart ein, wie der Adel - nach ihrer Vermutung - zu residieren
pflegte. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Lounge-Stil einen Kompromiss
geschlechtsspezifischer Vorlieben im Umgang mit Wohnungsgestaltung bietet:
Männliche Sachlichkeit wird kollisionsfrei mit weiblichen Deko-Bonbons
kombiniert. Politisch korrekte Harmonie, die auch noch pflegeleicht ist.
Auf den zweiten Blick wird jedoch auch klar, welche Elemente
Fremdkörper in dem reinen Ambiente der Lounge wären: Die verlotterten
Mitglieder des Prekariats und Grübler, die alles hinterfragen und nicht einfach
aalglatt „machen“.
Mich beschleicht das ominöse Gefühl, dass die deutsche
Gesellschaft einen zunehmend loungeartigen Charakter annimmt. Ich finde dies
einerseits beängstigend, habe aber andererseits gelernt, dass in Lounges oft
leckere Schickimicki-Drinks gereicht werden, wie etwa Aperol-Spritz, mit denen
man sich die Situation ungemein schön trinken kann.
Am Ende dieser Reflexion ist mir völlig bewusst, dass meine
Frau mir vorhalten wird, dass ich nur versuche mein chronisches Chaos zu
rechtfertigen und mich vor dem Aufräumen zu drücken. Es wird mir zwar
schwerfallen diesen Vorwurf zu entkräftigen, aber eine Lounge kommt für mich
nicht in Frage. Zu langweilig für meinen Geschmack.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der nächsten
Wohnungsrenovierung!
Philipp Heine
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