Stets kritisch

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Montag, 30. September 2013

Deutschlounge – Ein Wintermärchen



Deutschlounge – Ein Wintermärchen - Von Philipp Heine

Einst, als ich noch kindlicheren Gemüts war und die Welt groß und bunt, nur getrübt von Schlaghosen, weiblichen Achselhaaren und unrasierten Männern mit beängstigenden Frisuren, da sah es in deutschen Wohnungen und Gaststätten noch anders aus. Deutlich stachen die Anzeichen ins Auge, die die Anwesenheit eines mächtigen Alphamännchens und Jägers markierten: Keine verzärtelte Kiefer, sondern teutonische Eiche gab den Ton an. Gelegentliche Geweihe und röhrende Hirsche an den Wänden warnten vor geübter Überlegenheit im täglichen Überlebenskampf. Zinnteller mit alten Stadtansichten machten unmissverständlich klar, dass das mittelalterliche Feudalsystem hier noch gelebt wurde. Die Gaststube, die nichts anderes war, als das erweiterte Wohnzimmer der kampferprobten Recken, zeigte sich in gleichem Kleide.
 
Auch wenn die Welt schleichend von einer neuen Generation unterwandert wurde, die IKEA-Möbel kaufte und zu weich war, die Macht vom Vater zu übernehmen, gab es Rituale, die die sich gegenseitig mehr und mehr misstrauenden Generationen an einen gemeinsamen (Eichen-) Tisch führten: Rauchen, Saufen und Schwadronieren. Drei Grundpfeiler der deutschen Kultur, die den Zusammenhalt der Volksgemeinschaft garantierten. (Das Schießen fiel alliierter Übermacht zum Opfer.) Entsprechend konnte man diesen Tätigkeiten überall nachgehen. Selbst im Fernsehen oder im Kino gehörten Bier und Zigarette zum guten Ton.
 
Das Bild der deutschen Lebenswelt hat sich seither gewandelt. Jene alten Vertriebenen, die über das zugefrorene Haff den roten Horden entkamen, sind weggestorben. Heute bin ich ein Vertriebener, allerdings mit Schuhen und Mantel. Täglich stehe ich draußen, in Wind, Regen und Schnee, und blicke –verträumt frierend und an meiner Zigarette ziehend – zurück in den warmen Schankraum oder das Wohnzimmer, in denen Rauchverbot herrscht. Der meditative Charakter, den dieses kurze Exil hat, verschaffte mir neulich einen wunderbaren Moment der Klarheit. Ich erkannte, wohin sich Raumgestaltung und Gesellschaft in Deutschland wandeln: Zu einer Lounge.
 
Vor Tine Wittler kannten nur all jene Deutschen diesen Begriff, die regelmäßig auf Geschäftsreisen waren. Heute entspricht „Lounge“ dem, was vormals Renaissance oder Gotik hieß. Es handelt sich um eine Stilform, die gestalterisch das Wesen der Gesellschaft spiegelt.
Auf den ersten Blick besteht die Lounge aus einem Raum, der mit stiltypischen Farben, Materialien, Einrichtungsgegenständen und Dekorationen ausgestattet ist. Zu diesen zählen warme, oft erdfarbene oder rote Wandfarben, Möbel und Bodenbeläge aus dunklem Tropenholz, wenige pointierte Dekorationselemente, die gern in goldener Farbe gehalten sind und Worte oder kurze Sinnsprüche, die als dezenter Kontrast auf die Tapete aufgebracht sind.
 
Zusammengefasst ist eine Lounge die wärmste Form von Sterilität, die mir bislang begegnet ist. Edles Material trifft auf aufgeräumte Ordnung und unaufdringliche Verzierungen, die den Blick für einen kurzen Moment erfreuen. Nichts stört oder provoziert eine Reaktion, die die Raumgestaltung in den Fokus der Wahrnehmung rücken würde. Alles ist nett, aber neutral.
Wie kommt es, dass ein solcher Stil, der augenscheinlich bestens für Flughäfen oder Hotels geeignet ist, Einzug in deutsche Wohnungen und Gaststätten, die Tempel der deutschen Seele,  gehalten hat? 
 
Seine Gäste in einer Lounge empfangen zu können, vermittelt den Hausherren und Hausdamen ein Gefühl der Teilhabe. Nämlich der Teilhabe an einem besonderen gesellschaftlichen Status. Man möchte als jemand wahrgenommen werden, der vermögend, weltgewandt, geistreich und der „executive business-class“ zugehörig ist. Vermutlich trifft das in der Realität nur auf einen Bruchteil der Lounge-Inhaber zu. Auch in der Kaiserzeit richteten sich die Kleinbürger derart ein, wie der Adel - nach ihrer Vermutung - zu residieren pflegte. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Lounge-Stil einen Kompromiss geschlechtsspezifischer Vorlieben im Umgang mit Wohnungsgestaltung bietet: Männliche Sachlichkeit wird kollisionsfrei mit weiblichen Deko-Bonbons kombiniert. Politisch korrekte Harmonie, die auch noch pflegeleicht ist. 
 
Auf den zweiten Blick wird jedoch auch klar, welche Elemente Fremdkörper in dem reinen Ambiente der Lounge wären: Die verlotterten Mitglieder des Prekariats und Grübler, die alles hinterfragen und nicht einfach aalglatt „machen“.
Mich beschleicht das ominöse Gefühl, dass die deutsche Gesellschaft einen zunehmend loungeartigen Charakter annimmt. Ich finde dies einerseits beängstigend, habe aber andererseits gelernt, dass in Lounges oft leckere Schickimicki-Drinks gereicht werden, wie etwa Aperol-Spritz, mit denen man sich die Situation ungemein schön trinken kann.
 
Am Ende dieser Reflexion ist mir völlig bewusst, dass meine Frau mir vorhalten wird, dass ich nur versuche mein chronisches Chaos zu rechtfertigen und mich vor dem Aufräumen zu drücken. Es wird mir zwar schwerfallen diesen Vorwurf zu entkräftigen, aber eine Lounge kommt für mich nicht in Frage. Zu langweilig für meinen Geschmack.
 
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der nächsten Wohnungsrenovierung!
 
Philipp Heine

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