Stets kritisch

Stets kritisch

Dienstag, 4. März 2014

Die Renaissance des Haars in der Suppe



Die Renaissance des Haars in der Suppe - Von Philipp Heine

Liegt es an mir, an meinem fortschreitenden Alter oder an meinem Mangel an Coolness? Wohin ich in letzter Zeit auch blicke, Fernsehen, Innenstadt, Gaststätte  oder Verein, überall tummeln sich immer mehr junge Männer mit unfassbar hässlichen Hornbrillen, Vollbärten, Häkelmützen und Markenkleidung, die wohl aussehen soll, als wäre sie keine. Ich gestehe, dass mich langsam eine gewisse Panik befällt, dass die unsäglichen 70er Jahre wieder über uns hereinbrechen, die an Stilmangel selbst durch den Neandertaler nicht übertroffen wurden. Nachdem Generationen von Heranwachsenden sich in der Kunst der Selbstverstümmelung und Selbstentstellung in einem wahnwitzigen Wettbewerb zu überbieten versuchten, ist die derzeitige Krönung in Form des sogenannten Hipsters erreicht.
 
Durch den Einsatz von Pickelhauben, Pomade, Imponiernarben im Gesicht, flächendeckenden Tätowierungen, Piercings, Brandings, Implantaten, Ballonmützen, Pumphosen, Schlaghosen, unrasierten Achselhöhlen oder rot gefärbten Haaren war es bislang nicht gelungen, das offensichtliche Endziel, nämlich die Ausrottung der Gattung Mensch durch Verhinderung von Beischlaf, zu erreichen. Nun könnte es bald soweit sein: Vor meinem Auge entsteht die beunruhigende Vision eines lockigen Vollbartes, der zärtlich eine Melange von Eigelb, Caffè latte und Bulgursalat auf Lisa-Marie´s Hello-Kitty-Tattoo pinselt, beobachtet von zwei Augen, die durch eine übergroße Brille blicken, die an Streber in der Unterstufe oder amerikanische Großmütter erinnert. Im Hintergrund spielt „Hey Brother“ von Avicii in Endlosschleife auf N-Joy. Liebe Tiere, Eure Zeit der Herrschaft ist gekommen!
 
Wie kann es kommen, dass der Bart, ein rudimentäres Relikt aus Primatenzeiten, immer wieder einen Weg findet, als Stilmittel der Selbstinszenierung missbraucht zu werden? Selbst nachdem Kaiser und Führer die Funktion der Gesichtsbehaarung als Genital- und Gehirnsubstitut bewiesen haben, scheinen Männer den mundnahen Akzent zu brauchen. Bereits wenige Tage nach der Pubertät denkt sich der 15-jährige Lehrling, dass ihn der weiche Flaum stante pede zum Alpharüden befördert, wenn er ihn stehen lässt. Später, wenn sich der Bartwuchs gefestigt hat, steht eine ganze Bandbreite von Bartformen zur Verfügung, die – jede auf ihre Art und Weise – den Anschein erweckt, als hätte der Träger eine besondere Botschaft, die mit großer Männlichkeit vertreten wird. Da ist der solide und bescheidene Bürger mit Schnauzer, der Intellektuelle mit norddeutschem Fischerbart, das kreative Filou mit Zwirbelbart, oder der weise Großvater mit Weihnachtsmannbart, der sich leider häufig als Obdachloser entpuppt.  Alle tragen sie die haarige Gesichtsmaske, die stets den Verdacht hinterlässt, dass etwas verborgen werden soll. Jene Männer, die sich in Bart-Vereinen zusammenschließen  und täglich Stunden mit Wachs, Brennschere und Fön zubringen um abstruse Gebilde dort entstehen zu lassen, wo andere lächeln und sich küssen, treiben das Gefühl auf die Spitze, dass Äußerlichkeiten von massiven Problemen ablenken sollen. Je größer und exzentrischer der Bart, und damit das Werbetransparent, desto enttäuschender kann es sein, mit diesen Menschen erste Worte zu wechseln, wenn man feststellen muss, dass es sich weder um einen Vertreter der Intelligenzija, noch einen griechischen Gott handelt.
 
All diese Tatsachen sind seit geraumer Zeit bekannt. Nun jedoch fällt auch dem bebrillten Mützenverehrer ein, dass der Bart seine Gesamterscheinung perfekt abrunden könnte und er schlau und alternativ vor der weiblichen Welt erscheinen würde.
Die Geschichte lehrt uns, dass das schöne Geschlecht wahrscheinlich auch bei dieser modischen Entgleisung dumm und blind genug sein wird, den Hipstern Schläue und Stil abzukaufen. Später, im posthormonellen Alter, werden auch die Vertreterinnen dieser Generation dann die alten Bilder betrachten und sich mit leichter Röte im Gesicht fragen, was sie sich damals gedacht hatten.
 
Mit anderen Worten: Auch wenn ich derzeit einen ästhetischen Alptraum erlebe, muss ich mir eingestehen, dass die Menschheit wohl auch dieses Mal überleben wird. Ich denke, dass dies eine positive Erkenntnis ist, die mich dazu bringt, das alberne Treiben um mich mit einem Lächeln zu beobachten. Gut rasiert werde ich abwarten, welche vergangenen Fehltritte der Mensch sich als nächstes anschickt, aus der Mottenkiste der Geschichte hervor zu kramen. Irgendwie habe ich den Verdacht, dass es riesige Schulterpolster sein könnten.

Ich wünsche Ihnen gute Fahrt im ewigen Kreislauf der kommerziellen Stillosigkeit.

Philipp Heine

1 Kommentar: