Tierhalter – Eine possierliche Subkultur - Von Philipp Heine
Tiere können für den urbanen Westeuropäer verschiedene
Funktionen haben: Wächter, Kindersatz, Freundersatz, Accessoire, Statussymbol,
Sportskamerad oder Fußwärmer. Für mein eigenes Haustier, einen elfjährigen
Labrador, trifft neben „Kumpel“, „Raumdeodorant“ und „Verschlinger alles
theoretisch Essbaren“ besonders letzteres zu. Mit dem Kauf eines
nicht-menschlichen Hausgenossen wird man automatisch Teilhaber an einer neuen,
bunten und surrealen Welt, in der es oft
merkwürdig riecht. Nicht nur Tiere sorgen in diesem Paralleluniversum für
abstrakte Eindrücke, sondern besonders auch eine Vielzahl an Herrchen und
Frauchen in ihren diversen Schattierungen. Dieser Umgang prägt das Alltagsleben
ungemein: Man schaut andere Sendungen, unterhält sich ohne mit der Wimper zu
zucken über alle vorhandenen Variationen von Fäkalien, als ginge es um
Erdbeeren, man lernt interessante Menschen kennen, von denen man nur den Namen
des Tiers kennt und man verliert – selbst als Mann – die Scheu, mit lauter
quietschiger Stimme, untermalt von irrsinniger Gestik, Kommandos zu brüllen,
während sich der kleine Kollege in den nächsten Busch verdrückt, um ekelige
Gegenstände zu fressen.
Besonders interessant finde ich die Beobachtung anderer Tierhalter.
Es gibt auf der Welt nur äußerst wenige Dinge, die derart sympathisch, bizarr
und farbenfroh sind, wie die Kombination aus Mensch, Macke und Haustier. Am
radikalsten sind alle Ausprägungen der mehr oder weniger artgerechten Tierliebe
bei den menschlichen Weibchen vertreten. Im Folgenden möchte ich einige exemplarische
Urtypen der Tierhalterin vorstellen und näher betrachten:
Die Fachfrau:
Egal um welches Tier es sich handelt, immer finden sich
besondere Damen in der Vereins- und Trainingsgruppenszene, die besonders
erfahren, informiert und engagiert sind. Oft hat man den Eindruck, dass bei
diesen der Grad an Professionalität proportional zu Körpergewicht und
Männermangel steigt. Analysiert man die Sprache dieser Fachfrauen, dann fällt
eine gewisse Ähnlichkeit zu derjenigen von frisch gebackenen Müttern auf: Mit
resoluter Sachlichkeit wird die jeweils einzig vertretbare Methode der Zucht
oder Erziehung doziert, wobei unerklärte Fachbegriffe, Abkürzungen und
Produktnamen obligatorisch mit betonter Routine eingeflochten werden. Andere
Auffassungen werden mit übertrieben falschem Lächeln oder offenem Naserümpfen
disqualifiziert. Da die Fachfrauen oft einen großen Anteil ihres sozialen
Lebens dem Vierbeiner opfern und über umfangreiche Fachkenntnisse verfügen,
sind sie diejenigen Halter, die Mümmel, Minka und Wuffi sich wünschen.
Die Lebendpelzträgerin:
Im krassen Gegensatz zur ersten Gruppe geht es nun um
Vertreterinnen der Weiblichkeit, die meist keinerlei Wissen über Tiere
mitbringen. Stattdessen verfügen sie über ausreichende Barmittel und das
dringende Bedürfnis, sich und ihren sozialen Status öffentlich darzustellen.
Die Auswahl des Tiers orientiert sich in der Regel an den prominenten
Vorbildern: Welche Tiere schauen aus der Handtasche des momentan angesagtesten
It-Girls? Was wackelt über den roten Teppich? Womit schmücken sich Menschen,
die es geschafft haben? Mit was geht der Edelmann auf Jagd? Welcher Goldfisch
ist der teuerste? Qualzucht oder zuchtbedingte Eigenschaften, die über die
äußere Erscheinung hinausgehen sind kein Thema bei der Entscheidung.
Namensgebung und hochkarätiges Zubehör sind deutlich wichtiger. Fast immer
folgt eine Tragödie für Mensch, Tier und Wohnungsausstattung.
Frauchen Theresa
Jeder Fernsehzuschauer weiß heutzutage, dass der Süd- und
Südosteuropäer dazu neigt, Tiere wie
gefühllose Nutzgegenstände zu behandeln. Entsprechend werden in Deutschland
Butterfahrten in spanische und rumänische Tierheime organisiert, wo empörte
Tiermamis ihren Urinstinkten freien Lauf lassen können. So strömen jedes Jahr
Heerscharen geretteter Notfälle ins Land der tierlieben Teutonen. Nichts
brauchen wir mehr als traumatisierte, kranke und verhaltensauffällige Hunde und
Katzen, an denen anscheinend ein Mangel besteht. Auf diesem Wege werden die
Probleme zwar nicht gelöst, sondern in unser Land verlagert, aber immerhin
profitieren Hundeschulen, Tourismus und das Fernsehen vom Mitleidsgeschäft.
Die Patientin
An wen wenden sich all jene Frauen, die eine schwere
Kindheit, einen brutalen Ehemann oder ein traumatisches Erlebnis hatten? Richtig!
An den stets treuen und kuscheligen Partner mit vier Pfoten, der immer ehrlich,
gefühlvoll und authentisch ist. Er wird
vom Tier zum Partnerersatz, Seelentröster oder Bodyguard. Da ein Tier komplett
andere Strategien und Prioritäten bei der Wahrnehmung und Bewertung seiner
Lebenswelt hat, als ein Mensch, kann er diese Funktionen nur innerhalb seiner
besonderen Grenzen erfüllen. Gelingt es Frauchen in ihrer Pein nicht, zwischen
Mensch und Tier zu unterscheiden, dann darf sich der gespannte Zuschauer auf
Bonmots freuen, die gern mit zerbissenen Schuhen, Klopapier, Kissenfüllungen,
gelben Pfützen im Haushalt, hysterischen Jagden nach dem eigenen Schwanz,
Knurren, Zähnefletschen oder kompletter Missachtung zu tun haben.
Zusammenfassend kann man sagen, dass es eine große
Bereicherung und Erfahrung ist, ein Haustier zu halten. Ob es allerdings Halter
und Tier sind, die davon profitieren, oder nur der hämische Beobachter, hängt
davon ab, inwiefern sich der beteiligte Mensch vor der Anschaffung über die spezifischen Eigenschaften des
Tieres, die Tatsache, dass es sich um ein Tier handelt und die eigene
psychische Situation bewusst geworden ist.
Ich wünsche Ihnen allen einen fröhlichen Begleiter,
der ihre Wohnung aus glücklichem und treuem Herzen mit Haaren und Düften
dekoriert.
Philipp Heine
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