Die Welt zu Gast bei Freunden - Von Philipp Heine
Die Bewohner der nordwesteuropäischen Zivilisation sind froh
darüber, dass sie das Umherirren in der Wildnis hinter sich gelassen haben.
Stadt, Haus, Burg und Weiler lassen den Menschen behaglich werden. Natur ist
schön, wenn sie gezähmt ist. Gemütlichkeit ist ohne das Vorhandensein von
Mauern kaum vorstellbar. Auch unser Verständnis von Kultur ist nicht ohne die
dicken Mauern von Burgen, Kirchen und Städten komplett. Wer es zu etwas
gebracht hat, kauft sich ein Haus, baut einen Zaun darum und lässt es von
Tonzwergen bewachen. Besitz ist, was ich legal vor anderen Menschen in
Sicherheit bringen kann. Nichts ist typischer für den Deutschen, als die
Tendenz, Mauern und Bunker anzulegen.
Es gibt Menschen, die ihr Wohlempfinden durch das Maß ihrer
persönlichen Freiheit bestimmt sehen. Nicht der Deutsche. Sicherheit, Planbarkeit
und Berechenbarkeit sind wesentlichere Parameter, wenn es um des Teutonen
Komfort geht. Liberalismus hat in Deutschland nur geringe Chancen. Zwar wagt der Deutsche es, durch die Fenster in seinen Mauern zu blicken und von Abenteuern zu
träumen, doch bereits auf Mallorca gerät er in Panik, wenn deutsche Küche und
deutsche Sprache nur einen Moment außer Reichweite sind. Gefahren, Risiken und
Improvisation sind Vorboten von Anarchie und Apokalypse. Es ist kaum verwunderlich,
dass politischer Fortschritt gleichbedeutend mit einer schrittweisen
Verwandlung der Gesellschaft in eine barrierefreie, verkehrsberuhigte und
gepolsterte Zone ist, in der Kleinkinder und Senioren vor allen bösen
Einflüssen der Welt, wie etwa Lärm und Schmutz, sicher sind. Über allem
herrscht die große Mutti.
Doch die Sicherheit ist nur eine Illusion, die schnell von
der Realität einer globalisierten Welt heimgesucht werden kann. Erschreckte
Hobbits linsen vorsichtig durch den Türspion, nachdem es an der schweren
Eingangspforte geklopft hat. Draußen stehen dunkle Gestalten in schmutzigen
Kleidern, die Einlass begehren. Abenteurer!
Abenteurer sind stets Menschen auf der Flucht. Es lassen
sich zwei Sorten unterscheiden. Die einen sind von einfachem Verstand und haben
so lange monotone Computerspiele gespielt, Harz IV bezogen oder Shopping-queen
und Dschungelcamp gesehen, bis tief in ihnen etwas kaputt gegangen ist. Wenn
dann linke, rechte oder salafistische Hassprediger an sie herantreten und ihnen
den Kampf für das Gute – inklusive Sex und Gewalt – versprechen, machen sie
sich auf den langen und planlosen Marsch. Sie flüchten vor ihrem eigenen
tristen Ich, das sich schämt, weil es auch nach zehn Jahren Schule noch nicht
alle Buchstaben beherrscht. Die andere Gruppe besteht aus Menschen, die Not und
Verfolgung – etwa durch die erste Gruppe – gezwungen haben, mit Sack und Pack,
Kind und Kegel zu neuen Ufern aufzubrechen. Wenn sie je Mauern hatten, haben
sie diese aufgeben müssen. Sie haben mit allen Sinnen und Emotionen
Existenzangst, Hunger, Gefahr, Tod, Hitze und Kälte erlebt. Empfindungssterile
Deutsche zahlen mitunter Geld, um solche Erfahrungen für einen kurzen Moment
kennen lernen zu dürfen.
Hier stoßen zwei Welten aufeinander. Störende Fremdköper
bedrohen all jene Greise und Babys, die doch in Ruhe schlafen möchten. Sie
sprechen fremde Sprachen und bringen rückständige Weltanschauungen in den
Garten Eden. Sie kennen keine Computer, sind gewalttätig und behandeln ihre
Frauen wie Sklaven. Sie sind also etwa wie die Deutschen vor 50 Jahren. Schnell
wird klar, dass es nur an ihrer Religion liegen kann, dass sie keinem unserer
Standards genügen. Besonders die 1,24 Prozent, in denen sich diese von der
unseren unterscheidet, sind höchst verdächtig.
Wundersamer Weise sind es besonders jene Süd- und Ostdeutschen,
die einst nur widerwillig zu Bürgern der Bundesrepublik geworden sind, die nun entrüstet
zur Tat schreiten. Bewaffnet mit Fackeln und Transparenten sorgen sie dafür,
dass jeder erfährt, dass das Boot ja voll und die – im Herzen immer verachtete, aber inzwischen
bewährte – Demokratie durch Zuwanderung gefährdet sei. Was sollen wir mit
Menschen, die nicht hinreichend ausgebildet, arm und zudem nicht bereit sind,
sich uns sexuell hinzugeben, wie unsere thailändischen oder russischen
Importehefrauen? Marodeure, die schon lange auf einen Anlass gewartet haben,
sind im Begriff, das Bundeskristalljahr auszurufen. Endlich können die
Deutschen ihre kulturelle Überlegenheit unter Beweis stellen. Niemand hat die
Absicht, eine Mauer zu errichten.
Ich wünsche uns, dass nicht alle historischen Fehler erneut
gemacht werden müssen, um zu besseren Menschen werden zu können.
Philipp Heine