Stets kritisch

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Donnerstag, 15. Mai 2014

Wie das Sammeln die Balz verdrängte

Wie das Sammeln die Balz verdrängte - Von Philipp Heine

Wie der possierliche Paradiesvogel mit seinen bunten Federn und lustigen Tänzen, so warben auch die Menschen einstmals um die Gunst potentieller Partner: Der Mann stählte seinen Körper, benetzte ihn mit Moschusdüften und schmückte sich mit Attributen, die von Macht, Vitalität und Wohlstand kündeten. Die Frau ihrerseits legte süße Düfte auf, gewandete sich mit schönen Kleidern, die einen Hauch von wohldosierter Erotik durchscheinen ließen und übte sich in der Verbreitung reizender Weiblichkeit. Bei geselligen Veranstaltungen trafen die Werbenden aufeinander und erprobten gegenseitig ihre Gewandtheit im Umgang mit Geist und Körper. War man sich einig, so übernahmen körperinterne Schmetterlinge das Ruder und das Leben in Zweisamkeit nahm seinen Lauf.

Schaut man sich heute um, so denkt man auf den ersten Blick, dass alles seiner üblichen Wege geht und nur äußere modische Feinheiten sich gewandelt haben. Doch auf den zweiten Blick sind merkwürdige Abwege erkennbar. Zwar bemühen sich beide Geschlechter um Attraktivität, doch scheint dies mehr und mehr aus Gründen der Selbstverwirklichung zu geschehen, als um dem anderen Geschlecht zu gefallen. Mit der durchaus berechtigten Erkenntnis der Damen, dass ihre traditionelle Rolle sie benachteiligt und in der Freiheit beschränkt, geht eine neue, tendenziell negative Sicht auf den Mann einher, die dramatische Auswirkungen auf das Werbeverhalten des homo sapiens sapiens nach sich zieht: Die einst erfolgreiche Zurschaustellung von pulsierender Männlichkeit wird heute mit einem Naserümpfen und demonstrativ leerem Blick quittiert. Männer, die ihre körperliche Fitness zeigen, Autos fahren, die tatsächlich sportlich und schön sind, und auf betont aufreizende Kleidung Wert legen, tragen das Stigma des Proleten oder Schnösels. Frauen, die den alten Techniken die Treue halten, müssen mit dem Ruf einer unemanzipierten Schlampe leben.

In Schach gehalten von medialer Beeinflussung und gesellschaftlicher Konvention bemühen sich die modernen Westeuropäer, ihre smarte politische Korrektheit zu untermalen, indem sie sich modische Neuheiten gefallen lassen, die genau das betonen, was in den letzten Jahrtausenden Inbegriff des Unschönen war: Die Vertreterinnen der Weiblichkeit tragen mitunter Kleider, die ihre enge Verwandtschaft zum Jutebeutel deutlich erkennen lassen, färben sich die Haare rot, was bis vor kurzer Zeit eindeutiges Anzeichen für Hexerei oder Chromosomenmutation war, und tätowieren sich wie neuzeitliche Seebären. Die Herren der Schöpfung tragen paläolithische Bartmoden, Nerdbrillen und fahren Fahrrad oder  Renault Clio (was eindeutig die schlechtere Wahl ist).

Trotz der Abkehr von der Absicht, dem anderen Geschlecht gefallen zu wollen, ist die Lust am Mode-Shoppen erstaunlicherweise ungebrochen. Mit geradezu erotischer Wollust strömen die Vertreter aller Geschlechter in die Modehäuser oder  lassen den Onlinehandel erblühen. Doch wem will man gefallen?

Die Werbung gibt uns Aufschluss: Seit Jahren wird die moderne Frau gebetsmühlenartig aufgefordert, so zu sein, wie sie ist, an sich zu denken und sich selbst zu verwirklichen. Seifenopern stellen der zeitgemäßen Dame ein obligatorisches Kränzchen von Freundinnen an die Seite, das sie berät, unterstützt, mit ihr konkurriert, streitet und sich am Ende wieder verträgt. Der Spiegel und das Kränzchen sind das Publikum der immerwährenden Modeschau. In abgemilderter Form spielt sich ähnliches auch bei den modernen Herren ab.

Eine Folge dieses kränzchenorientierten Konsums ist das Entstehen von Sammlungen. Kleiderschränke, die zunehmend begehbar sind, füllen sich mit genau einmal getragenen Kuriositäten, die sowohl teuer als auch -  in den meisten Fällen -  für das andere Geschlecht unfassbar hässlich sind. Diese Sammlungen, deren Wert nicht an der Werbewirksamkeit, sondern am Vorhandensein spezifischer Marken bemessen wird, entwickeln einen stetig zunehmenden Selbstzweck. Während Madame Handtaschen und Schuhe hortet, umgibt sich Monsieur mit Uhren, Hemden und Mangel an Selbstbewusstsein.

Resultat dieser Entwicklung ist die stetig wachsende Unfähigkeit, Beziehungen erfolgreich zu beginnen und dauerhaft am Leben zu erhalten. Trennungsraten und der wachsende Zulauf bei Dating-Seiten im Internet sprechen eine klare Sprache.

Doch es besteht Hoffnung: Der Irrsinn ist nicht genetisch. Der Wille zum Beeindrucken des anderen Geschlechts ist nur kulturell verdrängt und schlummert dicht unter der Oberfläche. Den Beweis für diese These treten all jene Machos an, die dank Ignoranz oder unbändigem Ego das Proletenimage auf sich nehmen und mit verblüffendem Erfolg Damen aller Art in Begattungsstarre versetzen.

Ich wünsche uns allen, dass das Bekenntnis zur wahren Schönheit wieder salonfähig wird, so dass es nicht mehr immer die Idioten sind, die die hübschesten Mädels im Sportwagen zum Ort des Geschehens chauffieren.


Philipp Heine

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